Andrea Wüstner: Ich war immer verärgert, wenn ich ein Mädchen bekam � Die Eltern Thomas und Katia Mann

Piper Verlag, München 2010, 331 Seiten, �19,95

�Aber auf Kritik, alle Mann-Kinder berichten dies, reagierte der Vater mit eisigem Schweigen und Ignorieren des Kritisierenden.�

Thomas Mann vertraute seinem Tagebuch an: �Jemand wie ich sollte selbstverständlich keine Kinder in die Welt setzen�. Das könnte stimmen, denn im Grunde interessierte sich der Gro�dichter erst für sein fünftes Kind, Elisabeth. Sie war sich der Liebe ihrer Eltern zeitlebens sicher und musste nichts dafür tun. Erika, Klaus, Golo, Monika und Michael, den Thomas Mann bereits als Baby nicht leiden konnte, buhlten um die Gunst der Eltern. Das forderte von ihnen Einfallsreichtum, Originalität und am wichtigsten, Thomas und Katia erwarteten eine gute Unterhaltung. Katia wollte unbedingt Kinder haben, aus diesem Grund hatte sie geheiratet. Die Geburt eines Mädchens jedoch, das mag dem Zeitgeist geschuldet sein, deprimierte sie zutiefst. Doch liebte, achtete und förderte sie ihre Kinder? Oft glänzte die Mutter durch Abwesenheit, mal waren es die unvermeidlichen Kuren bedingt durch die häufigen Schwangerschaften, dann wieder Reisen mit ihrem Mann. Sie konnte äu�erst boshaft und hart über ihre Kinder urteilen. Aus heutiger Sicht mutet das befremdlich an, wenn sie Golo als hässlich bezeichnet, Monika als zu normal verachtet oder nach Klaus' Selbstmord äu�ert, Klaus kann mit seinem Leben anfangen, was er will. Ihre Mutter Hedwig Pringsheim schrieb ebenfalls abfällig über die Enkel. Mitgefühl oder gar liebevolle Empfindungen wurden selten ausgetauscht. Im gro�zügigen Haus wuchsen die Kinder ziemlich wild heran. Die gro�en tyrannisierten die kleinen. Thomas Mann war der Meinung, die Atmosphäre würde die Kinder schon erziehen. Zum einen mussten die Kinder ruhig sein, denn der �Zauberer� arbeitete und zum anderen hatten die Kinder nie feste Bezugspersonen. Ein Kindermädchen gab dem anderen die Klinke in die Hand, denn mit Katia Mann, genannt Milein, ein zärtlicher Name, schien es schwierig zu sein. Thomas Mann nahm sich wenig Zeit für die Kinder, interessierte sich aber für Klaus als jungen, frühreifen Mann, für Elisabeth und später dann � altersmilde � für seinen Enkel Frido. Trotz der Koseworte, die sich die einzelnen Familienmitglieder auch über die Kinderzeit hinaus gaben, fehlte im Familienverband die warmherzige Atmosphäre. Monika und Golo preisen als glückliche Zeiten den Aufenthalt im Internat. Was die Kinder allerdings genie�en konnten, trotz mieser Schulleistungen, das war der Rückhalt der Eltern, wenn sie sie mit Imitationen der Lehrer Thomas und Katia unterhalten konnten. In ihrer Freiheit schreckten der arrogante Klaus und die selbstgefällige Erika, wohlstandsverwahrlost, nicht vor Diebstählen und allerhand Unsinn zurück. Wenn eins die Geschwister verband, dann die Ungerechtigkeiten mit denen sie Zeitlebens klarkommen mussten und die Eifersucht, die ihre Mutter unter den Kindern immer wieder schürte. Die Entwicklung jedes einzelnen Kindes belegt die Literaturwissenschaftlerin Andrea Wüstner mit Zitaten aus Tagebucheintragungen, Briefen, den einzelnen Werken und Ausschnitten aus Interviews u.a. mit Heinrich Breloer. Sie zieht weiterhin auch Fachleute für ihre Analysen hinzu, z.B. den Kinder- und Jugendpsychiater Christian Eggers. Die Kindheit prägt. Sicher sind die Fluchten in Alkohol, Drogen oder Gewalt Zeichen für unbewältigte �ngste. So erlebt Michael als Zaungast die Zuneigung seines Vaters für das �Kindchen� Elisabeth. Monika findet weder Liebe noch Anerkennung bei ihrer Familie. Erika und Klaus, hochbegabt und exzentrisch, spüren die Achtung ihrer Eltern, denn sie sind kreativ, veröffentlichen schnell und verausgaben und verbrennen innerlich aber früh. Klaus existiert nur durch die finanzielle Unterstützung der Familie, die die Mutter ihm nie verwehrt. Chronologisch verfolgt die Autorin die Lebenswege der sechs Geschwister und reflektiert aber auch immer wieder das widersprüchliche Verhalten der Eltern Thomas und Katia ihnen gegenüber. So schreibt der anerkannte Schriftsteller seine autobiographische Erzählung �Unordnung und frühes Leid�, erwähnt aber Golo und Monika nicht. In den Erinnerungen, die Katia Mann niederschreiben lie�, sind alle Kinder wichtig, nur Monika nicht. Immer wieder fragt sich die Autorin, was geht in den Köpfen der Kinder, auch als Erwachsene vor, wenn sie die Kälte der Eltern immer wieder spüren. Geredet wird, wie in so vielen Familien, nie. Auch Trauer hat keinen Platz im wohlgeordneten Leben der Manns. Als Klaus sich nach mehreren Versuchen endlich das Leben in Italien nimmt, findet die Familie keine Zeit, um an den toten Sohn zu denken. Monika überlebt ein schweres Schiffsunglück. Ihr Mann stirbt. Schnell gehen die Eltern zur Tagesordnung über. Mitempfinden oder gar Mitleiden ist ihnen fremd. Schwere Schicksalsschläge bleiben ihnen erspart, denn im Exil, entgegen den Behauptungen Katias, sind sie finanziell sehr gut gestellt. 20 Jahre nach dem Tod Thomas Manns ediert Michael, begabter Musiker und Germanist, die erhaltenen Tagebücher und liest wie abfällig der eigene Vater über ihn dachte. Jedes Kind der Manns und auch die Enkelkinder trugen und tragen die Bürde dieser Familie. Jedes Kind konnte sich entfalten, seine Kreativität ausleben, schreiben oder musizieren und musste mit den Schatten der Vergangenheit klarkommen.

Andrea Wüstners Buch über die Eltern Thomas und Katia Mann reiht sich souverän in die zahlreichen Bücher, die über die wohl berühmteste Familie geschrieben wurde, ein. Ab und zu häufen sich wiederholende Passagen, besonders wenn es um die fehlende Bezugsperson der Kinder geht. Aber gut recherchiert, immer mit Textstellen belegt, folgt man zunehmend und fast sogartig den Ausführungen und Analysen der Autorin.