Sommer war gestern

Ute Wegmann

Deutscher Taschenbuch Verlag, Reihe Hanser, München 2010, 363 Seiten, �8,95

�Autos, Abgase, Lärm, Dreck, Drängelei, Pöbelei � diesen ganzen Müll der Stadt empfand sie als Geschenk, ein Freiticket ins Paradies.�

Das Leben im idyllischen Dorf ist für die beiden lebenshungrigen, fast sechzehnjährigen Freundinnen Ela und Kati einfach nur nervtötend. Sie wollen raus ins Leben, nach Köln, nach New York, dahin, wo etwas los ist. Beide interessieren sich für Mode und mit einer einmaligen künstlerischen Idee hoffen sie, Geld zu verdienen, um dann ihren Traum endlich wahr zu machen. Die eher introvertierte Kati hat viel Freiraum, denn ihre Eltern, die sie auch schmerzlich vermisst, sind ständig unterwegs. Die kämpferische und mutige Ela, eigentlich Elisabeth, wird jedoch strenger überwacht, obwohl auch ihre Eltern in ihrer Speditionsfirma viel arbeiten und sich wenig Zeit für die Tochter nehmen. Strenge Regeln bestimmen ihren Alltag und Ela stö�t immer öfter an die Grenzen, die die Eltern ihr setzen. Dabei hat sich als sie noch jünger war der Schlosser Schoner, ein Mitarbeiter aus der Firma, um sie gekümmert und ihr später sogar das Autofahren beigebracht. Doch auch in seinem Leben scheint sich vieles verändert zu haben, denn immer öfter greift er zur Flasche. Wenn Elas wortkarger Vater und ihre gestresste Mutter wüssten, was ihre Tochter in den Nächten so treibt, hätte sie wirklich ein Problem. Elas Leidenschaft sind Autos. Zu gern würde sie Kati das Fahren beibringen und mit ihr über die Landstra�en sausen. Aber Kati hat einfach zu viel Schiss, wenn Ela sich des Nachts ein stehengelassenes Fernfahrers, der für ihre Eltern unterwegs ist, ausleiht und Gas gibt.

Als Ela und Kati beim Tennisturnier auf Anouk treffen, bekommt ihre langjährige, enge Freundschaft Risse. Kati scheint langsam aus ihrer Lethargie und Fixierung auf Ela zu erwachen, sie ist fasziniert von Anouks aufregendem Stadtleben, mit Brüdern, die des Nachts Graffiti sprayen und wo alles möglich scheint. Die trotzige Ela kann Anouk, die ihr einfach zu ähnlich ist, nicht ausstehen und sie ist eifersüchtig auf Katis neue Freundin. Sie fühlt sich und das ist neu, wie das dritte Rad am Wagen. Au�erdem muss sie noch feststellen, dass Lars, ihre neue Liebe, der ältere Bruder von Anouk ist. Als Kati vom angetrunkenen Schoner belästigt wird, überredet die charismatische Anouk Ela und Kati zu einem Akt der Selbstjustiz. Sie wollen dem Alten eine Lehre erteilen. Zeitgleich hat Ela mitbekommen, dass die Brüder von Anouk des Nachts Autorennen veranstalten, allerdings nur für Jungen. Das reizt sie, da will sie dabei sein und wenn schon nicht als Mädchen, dann eben in Verkleidung.

Endlich wieder ein realistischer Jugendroman, in dem die Gedanken der Hauptfiguren nicht um schwere Verluste oder den Tod kreisen. Pures Leben ist gefragt! Temporeich, unterhaltsam und immer aus den Perspektiven von Ela und Kati, beide nicht mehr Kind, aber auch nicht erwachsen, erzählt Ute Wegmann von einem Sommer, der vieles verändern wird. Fein beobachtet, ohne sich anzubiedern, trifft die Kölner Autorin den jugendlichen Tonfall, umschifft keine auch noch so intime Szene zwischen den fast erwachsenen Protagonisten, wenn es um erste sexuelle Erfahrungen und nervenaufreibende, gefährliche Grenzüberschreitungen geht. In überzeugenden Bildern und Szenen fängt sie die Dorfatmosphäre, vielleicht auch aus eigenen Erfahrungen, aus der Sicht der Jugendlichen ein und die Diskrepanz zwischen Elternmeinung und den auch naiven Erwartungen der Kinder. Elas Eltern reden kaum mit ihrer Tochter und wenn, dann nur im Befehlston, Katis Eltern glänzen durch Abwesenheit. Die Konflikte zwischen den Generationen versickern im Alltagstrott oder enden in Sprachlosigkeit. Dabei zeigt Ute Wegmann wie fast nebenbei mit dem Auftauchen von Elas aktiver Oma wie viele Möglichkeiten das Leben in jedem Alter bieten kann. In präzisen Dialogen charakterisiert sie ihre Figuren, die bei ihrer Suche nach dem ultimativen Kick wahrhaftig und lebensnah wirken. Ela versinkt immer wieder in Erinnerungen und wie in Nahaufnahmen ziehen die vergangenen Erlebnisse an ihr vorbei. Vieles hat mit Kati zu tun, aber auch mit Schoner. Wie fragile eine Freundschaft durch den Einfluss einer dritten Person werden kann, dass demonstriert sie an dem Verhalten ihres sympathischen, wie gegensätzlichen Duos Ela und Kati. Allerdings verbindet die beiden mehr als sie denken, denn sie fühlen sich, auch wenn Schoners Verhalten unter Alkoholeinfluss nicht zu entschuldigen ist, unwohl als dieser nach der nächtlichen Aktion nicht mehr auftaucht. An den wahren Katastrophen jedoch schrammen alle mit ihrer jugendlichen Lebensgier glimpflich vorbei und der Leser kann aufatmen.

Das Gerüst der Geschichte ist gut konstruiert, aber einige Nebenschauplätze und zu viele Zufälle ( Anouks Vater hatte mal eine Affäre mit Elas Mutter ) bremsen den Handlungsverlauf und verkürzen das mit Spannung erwartete Highlight, Elas Autorennen mit den furchtlosen Jungen. Und noch ein Kritikpunkt, allerdings nicht an die Adresse der Autorin. Ein Fehlerteufel hat sich in diesem Buch eingeschlichen und ein paar Korrekturen wären wirklich notwendig.