DIE ANDERE FAMILIE

Joanna Trollope: Die andere Familie, Aus dem Englischen von Angelika Kaps, Bloomsbury Verlag, Berlin 2010, 380 Seiten, �22,00

�Es war dieses ururalte, drängende Bedürfnis nach Bindung, für das es keinen befriedigenden Ersatz gibt.�

Von einem Tag auf den anderen stirbt der einst sehr bekannte Pianist Richie Rossiter. 23 lange Jahre lebte er mit Chrissie zusammen. Aus ihrer Verbindung stammen die drei Töchter: Tamsin, Dilly und Amy. Chrissie arbeitete als seine Agentin und betreute allerdings nur Richie als Künstler. Nach dem Tod des Vaters erfahren die Mädchen, dass ihre Eltern ihre Beziehung nie legalisiert hatten. Auf dem Papier ist Richie immer noch mit seiner ersten Frau Margaret verheiratet. Der nächste Schock ist die Testamentseröffnung, denn der Künstler vermacht seinen wertvollen Flügel seinem erwachsenen Sohn Scott. Chrissie landet nicht nur emotional auch finanziell in einem heillosen Desaster. Es existieren keine Ersparnisse, denn die Familie hat voller Frohsinn in den Tag hineingelebt, auch wenn die Angebote für den über sechzigjährigen Pianisten nicht mehr so zahlreich waren. Nun kann Chrissie das gro�e Haus nicht mehr halten, die verwöhnten Mädchen müssen sich auf dem Arbeitsmarkt umschauen. Amy will sogar die Schule abbrechen, um dazuzuverdienen. Sie ist mit ihren 17 Jahren die einzige, die die andere Familie ihres Vaters nicht mit Argwohn betrachtet. Sie nimmt sogar Kontakt zu Scott auf und muss sich dafür von ihren Schwestern so einiges anhören. Beide, Amy wie Scott, sind neugierig aufeinander, auch auf die Vergangenheit des Vaters und sein Leben in der jeweils anderen Familie. Margaret hatte mit Richie zusammengelebt, da war er noch kein bekannte Künstlerfigur. Mit seinem steigenden Bekanntheitsgrad stieg auch die Zahl der Verehrerinnen, zu denen auch die um Jahre jüngere Chrissie zählte. Margaret, Inhaberin einer kleinen Künstleragentur, fühlt nach dieser langen Zeit kaum noch Groll und doch spürt sie, dass sie erst durch den Tod ihres Mannes irgendwie wieder freier Atmen kann und auf Neues zugehen.

Psychologisch fein gesponnen ist diese ungewöhnlich spannende Geschichte über zwei Familien, die sich feindlich gegenüberstehen und doch, über die Musik, einen Zugang zueinander finden werden. Chrissie auf sich selbst zurückgeworfen, durchgeht eine tiefe Krise und rappelt sich aber auch wieder hoch. Sie kann Amy nicht aufhalten und erkennt auch, dass auch nach Richies Tod, sie ist Ende 40, ein neues Leben für sie durchaus möglich ist.

Unterhaltsam, aber frei von trivialem Kitsch, erzählt Joanna Trollope in bewährter Routine anschaulich und tiefsinnig vom Schicksal sehr unterschiedlicher Menschen.