DIE UNPERFEKTEN

Tom Rachman: Die Unperfekten, Aus dem Englischen von Pieke Biermann, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2010, 400 Seiten, �14,90

" Bei einer Zeitung sind Sachen, die gestern von äu�erster Wichtigkeit waren, heute kein Stoff mehr."

Tom Rachman, von Hause aus erfolgreicher Journalist und selbst erfahren, wen es darum geht, aus dem Innenleben einer Zeitungsredaktion zu berichten, verfolgt in seinem Debütroman die Entstehung und den Niedergang eines Blattes in Rom. �ber 50 Jahre hinweg, nicht chronologisch, berichtet er aus der persönlichen Sicht ganz unterschiedlicher Protagonisten, deren Arbeitsleben mit der Zeitug verbunden ist, von ihren beruflichen wie privaten Höhen und Tiefen. Von goldenen Zeiten, aber auch gro�en Umbrüchen ist die Rede, von Menschen, die in den oberen Etagen die Fäden in den Händen halten und den kleinen Korrektoren ganz unten am Ende der Nahrungskette. Alles dreht sich um Illusionen, Fehleinschätzungen, Hoffnungen und Enttäuschungen.

Als der Amerikaner Cyrus Ott die internationale, 12-seitige Zeitung am Corso Vittorio gründete,herrschte Aufbruchsstimmung, ein halbes Jahrhundert später ist für den jungen Oliver Ott, den neuen Besitzer,sein Hund Schopenhauer wichtiger als jede Schlagzeile. Sein Vater konnte die Zeitung aus der Krise mit einem gewieften Manager und Vollblutjournalisten retten, unter Olivers Nicht-Leitung geht alles den Bach hinunter. Persönliche wie private Krisen erlebt das Blatt und natürlich alle technischen Veränderungen bis hin zum gnadenlos unterschätzten Internet. über den Werdegang und finanziellen Zustand der Zeitung in zeitlich entscheidenden Abschnitten resümiert der Autor immer am Ende eines Kapitels, in dem es um einen kurzen Lebensausschnitt eines Mitarbeiters geht, z.B. Herman Cohen, den Chef-Korrektor. Gefürchtet wie anerkannt ist sein Stilführer für die Zeitung. Pedantisch und penetrant durchkämmt er die Zeitung jeden Tag nach groben Fehlern, die er dann in der sogenannten Bibel der Zeitung auseinandernimmt und seine Kollegen schulmeisterlich belehrt. Er hat es zu etwas gebracht, im Gegensatz zu seinem Freund Jimmy, der ihn nach Jahren der Trennung in Rom besucht. Doch Herman pflegt immernoch seine Illusionen, wenn er an den eloquenten Freund aus vergangenen Tage denkt. Er sieht nicht, dass Jimmy nur gro�e philosophische Reden hält, wenn er getrunken hat. Als Herman Jimmy auffordert einen Artikel für die Zeitung zu schreiben, offenbart sich das ganze Fiasko. Auch Nachrichtenchef Craig Menzies empfindet sich selbst als unattraktiv und langweilig. Seiner um Jahre jüngeren Freundin Annika bietet er ein sorgenfreies Leben in Rom. Sie geht im Hausfrauendasein auf und schämt sich doch, keinen Beruf auszuüben. Als die kontaktfreudige Annika einen Yogakurs beginnt und Paolo kennenlernt endet die harmonischen Beziehung zu Craig auf dramatische Weise. Alle Leute, die bei der Zeitung arbeiten, stammen aus den USA. Für sie ist der Aufenthalt in Rom ein Sprung nach Europa, ein Abenteuer, aber auch eine Karrierehoffnung. Italien ist für sie weit entfernt. Wie in einer Enklave sitzen die Journalisten, wie Redakteure im Newsroom und verfassen oder verhunzen die Artikel.Es wird gelästert, gemobbt, verehrt und gehasst.

Immer geht es um das Individuelle im gro�en Ganzen, unterhaltsam und reflexiv, anregend und tragikomisch. Berauschend an diesem Roman ist das Eintauchen in die unterschiedlichsten Schicksale der einzelnen Mitarbeiter, derjenigen, die süchtig danach sind Macht zu besitzen und eine Karriere, wie Kathleen, die Chefredakteurin. Oder andere, die nur an kleinen Rädchen drehen und bereits auf dem Abstellgleis gelandet sind, so wie Ruby, die Texterin, die sich eine Familie wünscht und mit den Männern um ihren Arbeitsplatz kämpfen muss. Da sitzt ein abgebrannter Au�enkorrespondent in Paris und hofft immer noch auf die gro�e Story, auch wenn die Fakten nicht ordentlich recherchiert sind. Immer wieder treten in den einzelnen Kurzporträts über die Zeiten hinweg, Querverbindungen auf. Da sind die Langweiler, diejenigen, die überraschen, aber auch die Alkoholiker,Fremdgeher und letztendlich der treue Leser und seine Erwartungen. Niemand ist perfekt und alle wollen es doch auf die eine oder andere Weise sein.