Die erste Liebe

Véronique Olmi

Aus dem Französischen von Claudia Steinitz

Antje Kunstmann Verlag, München 2011, 284 Seiten, �19,90

�Als ich dich zum ersten Mal gesehen habe, hast du Coralie Finel geküsst, die Stones sangen 'Angie', wir waren jünger als meine Töchter heute, und jetzt sieh mal: Wir sind fünfzig.... Wir sind fünfzig.�

Als Emilie sich auf ihren 25. Hochzeitstag vorbereitet, ist sie über die Einfallslosigkeit ihres Mannes Marc, der nicht daran gedacht hat eine Kurzreise in eine europäische Stadt zu organisieren, sondern dem nur ein Essen in einem chicen Restaurant vorschlug, enttäuscht. Emilie beschlie�t, sie nimmt die Sache in die Hand und kocht. Als sie den Wein in ihrer Pariser Wohnung auspackt, fällt ihr Blick auf eine Zeitungsannonce: �Emilie. Aix 1976. Komm so schnell wie möglich zu mir nach Genau. Dario� Wie elektrisiert reagiert Emilie auf diese Zeilen. Sie lässt eine kurze Nachricht für Marc zurück und begibt sich auf den Weg ins Ungewisse. Aus Emilies Sicht verfolgt der Leser nun ihre Reise in die Vergangenheit zu den Kindheitserinnerungen und Momenten, die sie nie in ihrem Leben vergessen hat. Vor 30 Jahren war der charmante, von allen für seine Leichtigkeit bewunderte 16-jährige Dario ihre erste gro�e Liebe. Unerreichbar schien der Junge, der die Mädchen küsste. Emilie bewundert ihn aus der Ferne und ärgert sich daheim über ihre katholische Mutter und kümmert sich um die mongloide, ältere Schwester Christine. Aus dem Gespinst von Schuld und Verbitterung kann sich Emilie durch ihre Zuneigung zu Dario lösen, er öffnet ihr Welten, bricht etwas in ihr auf. Jetzt flie�en die damaligen Szenen vor ihrem inneren Auge vorbei und Emilie stellt ihr eigenes, trist gewordenes, so mittelmä�iges Leben in Frage, ihren Mann, ihre drei Töchter, die zwar aus dem Haus sind, doch alle Lebenswege eingeschlagen haben, die noch nicht in die richtige Richtung gehen. In Aix aufgewachsen lebt dort in einem Heim auch Christine, die Emilie auf ihrem Weg nach Genua nun besuchen will. Verschiedene seltsame Begegnungen auf den Stra�en und Autobahnen nach Italien regen Emilie an, sich erneut über Menschen zu wundern. In Genua angekommen, findet sie Dario, auch ohne Adresse und erfährt, dass nicht er diese Annonce aufgegeben hat. Seine Frau Giulietta, gut betucht in einer Villa lebend, hat nach dem seltsamen Zusammenbruch ihres Mannes nur diesen einen Ausweg gesehen. Dario hat nie über Emilie gesprochen, aber er hat über sie geschrieben. Doch was ist mit dem immer noch gut aussehenden Mann geschehen, der Rennautos liebt und seine unverfrorene, gesellige Art vor der Krankheit nicht verloren hatte? Ist es frühe Demenz, eine Depression? Dario spricht nicht und Guilietta, die alles unternimmt um ihn aus der so scheinbaren Leere zu befreien, hofft, dass Dario sein Schneckenhaus verlässt, wenn Emilie ihn an vergangene Zeiten erinnert und die Blockade löst.

Wie in einen rei�enden Fluss wirft die Autorin den Leser, der mit Emilie, ohne sich lösen zu können, auf den Abgrund zuschwimmt. Sie will sich aus dem �Wir� ihrer Beziehungen lösen, um wieder zu einem �Ich� zu gelangen und zieht durch diese Reise in die Vergangenheit ein Resümee über die letzten 30 Jahre. Was ist wirklich wichtig? Warum ist diese erste Liebe so prägend für Emilie gewesen, dass sie nun alles stehen und liegen lässt? Niemals verrät Emilie die genauen Details, sie bleibt an der Oberfläche und sagt doch viel mehr.

Elegant und unterhaltsam liest sich die Sprache der Véronique Olmi, die den Leser mit ihrem Wissen um Vergängliches, Erhofftes, Verlorenes beeindruckt und eine Geschichte geschrieben hat, die so oder ähnlich hätte geschehen können, denn das Leben schreibt ofmals die unglaublichsten Romane.