So oder so ist das Leben

Marie-Aude Murail

Aus dem Französischen von Tobias Scheffel

Fischer Schatzinsel, Frankfurt a.M. 2011, 254 Seiten, �13,95

�Sie schlief ein, während sie jenes Kind in die Arme schloss.�

Die unerfahrene, sehr schöne aber lethargische Violaine schläft ein einziges Mal mit Dominique und wird schwanger. Dabei ist es nicht die gro�e Liebe zwischen den 17-Jährigen. Er hat keine Ahnung und sie ist völlig überfordert. Violaines Vater, eigentlich die Hauptperson in diesem Jugendroman, ist Allgemeinmediziner mit einer eigenen Praxis, die er sich mit einem jungen Kollegen, Doktor Chasseloup, teilt. Violaine sucht den Vater auf, er gibt ihr etwas ungehalten einen Schwangerschaftstest und auf seine Nachfrage hin, behauptet Violaine, aus Angst, er würde ihr die Entscheidung abnehmen, sie sei nicht in anderen Umständen. Marie-Aude Murails �So oder so ist das Leben� ist kein besonders klischeebeladenes Beispiel für Problemromane über schwangere Teenager. Im Gegenteil. Mit unglaublicher Leichtigkeit erzählt sie von der Familie Baudoin, von Violaine, die schlagartig erwachsen werden muss und von Doktor Chasseloup, den immer noch seine deprimierende Kindheit quält. Immer wieder wechselt die französische Autorin die Perspektiven und sieht die Ereignisse aus der Sicht des Vaters, Violaines Mutter oder Violaine. Wie ein roter Faden ziehen sich durch den Roman die Patientengeschichten, die Doktor Baudion eher langweilen, und die er möglichst schnell hören und abhaken will. Au�erdem schanzt er seiner Frau, die in einem Labor arbeitet, diverse Aufträge zu, ob die Patienten nun wirklich krank sind oder nicht. Doktor Chasseloup dagegen nimmt sich Zeit für seine Patienten. Er wei�, dass die alte Dame keine Schmerzen überall hat, sondern auf ein Zeichen von ihrer Tochter wartet und einen Besuch. Violaine flüchtet sich vor ihrer Familie in eine Magen-Darm-Grippe und vertraut nur ihrer Freundin Adelaide. Diese organisiert mehrere Termine für die Schwangere, die sich nun entscheiden muss, was sie mit ihrem Leben anfangen will. Aber auch Adelaide geht zu weit, denn sie glaubt, sie muss Dominique zwingen, sich seiner Verantwortung zu stellen. Doktor Baudion hat jegliche Lust an der Arbeit verloren, ärgert sich aber um so mehr als er bemerkt, dass seine langjährigen Patienten, die einmal bei einer Vertretung bei Doktor Chasseloup waren, nun plötzlich von ihm behandelt werden wollen. Der gro�e Krach bahnt sich an, aber nicht nur zwischen den Doktoren.

Marie-Aude Murail zieht den Leser gekonnt in ihre wirklichkeitsnah erzählte Geschichte hinein. Es scheint beim Lesen so, als würde man die Figuren bereits seit Ewigkeiten kennen. Mit Humor aber auch Tiefgang erzählt die französische Autorin vom Leben der anderen und man ist gefesselt. Dabei überlässt sie dem Leser jegliches Urteil und verrennt sich bei aller Liebe zur Harmonie nie in moralische Bewertungen.