DIE KOMISCHE FRAU

Ricarda Junge: Die komische Frau, S. Fischer Verlag, Berlin 2010, 189 Seiten, €17,95

„Im Grunde genommen ordnete ich die 'komische Frau' auch dieser Phantasiewelt zu, der wachsenden Vorstellungskraft, die nicht mehr nur das umfasste, was ihn unmittelbar umgab, sondern Bekanntes auch zu neuen und eigenen Bildern und Welten zusammenfügte.“

Adrian, der kleine Sohn von Lena und Leander bemerkt immer wieder in der Berliner Wohnung in der Löwestraße eine Person, die er die komische Frau nennt. Lena sieht niemanden und denkt die Frau, vor der der kleine Junge Angst hat, entspringe seiner Vorstellungskraft. Die komische Frau taucht auf, nachdem Lena sich von dem charismatischen, aber doch allzu stressigen Journalisten Leander getrennt hat. Beide haben in Hamburg studiert, sich auf den ersten Blick verliebt und ein gemeinsames Leben geplant. Um sie herum suchen Kommilitonen und Freunde nach Arbeit, sind im Job und verlieren diesen dann auch wieder ganz schnell. Leander trifft ins Schwarze, trotz Krise, stellt ihn eine neue Zeitschrift mit unbefristetem Vertrag plötzlich ein. In Kürze muss eine Wohnung in Berlin, möglichst Ost-Berlin, gefunden sein und Lena und Adrian folgen. Die neue Wohnung ist nicht besonders groß und liegt im Grünen, im Schatten der einst prachtvollen Karl-Marx-Allee mit ihren Bauten aus der Stalinzeit. Wie zu DDR-Zeiten scheint die Hausgemeinschaft, meist ältere Leute, in der Löwestraße ein Auge auf den anderen zu werfen. Frau König thront wie eine Königin im obersten Stockwerk und hat immer noch die Oberhoheit über die Schlüssel und den alten Einfluss. Lena verwundert, dass Frau König immer auf sie zukommt, wenn Frau König ein Treffen möchte. Klingelt Lena bei ihr, ist sie nie zu Hause.

Lena schreibt für verschiedene Zeitschriften, in denen sich Redakteure auch von einem Tag zum anderen in Luft auflösen. Ein unsicheres Dasein, so unsicher wie alles um Lena herum. Ab und zu telefoniert Lena mit ihrer Freundin Janina, sie besucht die besorgten Eltern in Hamburg und genießt den Alltag mit ihrem Kind, das bereits in die Krippe geht. Das Leben mit Leander jedoch scheint sich aufzulösen, immer weniger haben die beiden sich zu sagen, streiten nur noch und Lena trennt sich. Leander jedoch scheint im Arbeitsstress kaum zu registrieren, was geschehen ist. Je länger Lena nun mit Adrian allein ist, um so eigenartiger beginnt das Haus und seine Bewohner auf Lena zu wirken. Adrian sieht die komische Frau, Lena bemerkt, dass in ihrer Wohnung Dinge sich verändern. Ist sie zu nachlässig? Hat sie den Herd vergessen auszustellen? Warum sind plötzlich alle Heizungskörper an? Wer hat die Fenster geöffnet? Die Angst steigt in Lena hoch und bemächtigt sich ihrer. Sie beginnt bereits zu denken, dass Adrian sie selbst als komische Frau sieht. Ist sie zu viel mit ihrem Kind allein? Lena sucht keine Kontakte, weder im Haus noch auf dem Spielplatz. Sie igelt sich in ihrem nicht gerade arbeitsreichen Dasein ein. Wovon sie ihre Alltagskosten mit Kind bestreitet, bleibt ebenfalls eine offene Frage? Ist alles nur Einbildung, ein Gehirngespinst aus lauter Einsamkeit oder existiert wirklich jemand, der in der Nacht Adrian zudeckt?

Ricarda Junge spinnt eine geheimnisvollen Geschichte voller Geister, Mutmaßungen und Grauzonen zwischen gestern und heute, zwischen Ost- und Westdeutschland, zwischen Angst vor dem Unbekannten und ungewollter Inschutznahme und zwischen Realitätsverlust und Wirklichkeit. Ist der Grund für alles die Einsamkeit, die Verunsicherungen im Leben? Lena kommt gut allein zurecht, Frau König benötigt mit ihrer dominanten Art die Aufsicht über andere, die Teilnahme am Leben der anderen. Was steckt hinter all den Geheimnissen? Ein faszinierender Roman, den man einfach nicht mehr aus der Hand legen kann und letztendlich Fragen offen lässt. Lena greift am Ende zum Stift, um alles aufzuschreiben und der verwirrte Leser beginnt den Roman nochmals von vorne. Irgendetwas muss er beim Lesen übersehen haben.